malcolm x als vorbild für muslime in deutschland
21-02-2018
Vorbilder, die uns positiv stimmen, sind heute wichtiger denn je. In dieser IslamiQ-Reihe möchten wir unsere Leser zu Autoren machen. Emir Faruk Kayahan schreibt über sein Vorbild: Malcolm X.
Malcolm X – bereits zu Lebzeiten, aber auch heute – genau 53 Jahre nach seinem Ableben, hat dieser Name eine eigentümliche Anziehungskraft. Er fasziniert und inspiriert unzählige Menschen und genießt, von sozialistischen Strömungen bis hin zur HipHop-Szene, eine gruppenübergreifende Akzeptanz. Allein bis 1977 wurde seine Autobiografie über sechs Millionen Mal verkauft.[1] Doch welchen Platz verdient Malcolm in unserer Gedankenwelt? Inwiefern kann er als Vorbild für eine deutschsprachige muslimische Minderheit gelten?
Der schwarze Malcolm X im weißen Amerika (1925-1946)
Malcolm Little wird am 19. Mai 1925 in Nebraska in eine Welt hineingeboren, in der der rassistische Ku-Klux-Klan (KKK) mit 4,5 Millionen die stärkste politische Kraft im Land bildet. Entsprechend des sozialen und juristischen Grundsatzes „seperate but equal“ sind von Krankenhäusern bis zu Schulen alle öffentlichen Einrichtungen zwischen der weißen Mehrheitsbevölkerung und der mit 22 Mio. größten Minderheit der Afroamerikaner „getrennt“, jedoch keineswegs „gleich“. Auch die Familie Little ist eines von vielen Beispielen dafür, wie der strukturelle Rassismus in den USA eine gesamte Volksgruppe systematisch in den Abgrund treibt: Malcolms politisch engagierter Vater wird ermordet, wodurch seine Mutter einen Nervenzusammenbruch erleidet. Malcolm hingegen wird aufgrund seiner Hautfarbe – trotz sehenswerter Leistungen – ein Studium verwehrt.
„Ab diesem Zeitpunkt sollte Malcolms entwurzeltes Leben in Boston und im „Harlemer Dschungel“ (New York) immer unmoralischer und gesetzloser werden – bis zur Verhaftung“
Vom Teufel zu Malcolm X (1946-1952)
Die Geschwister machen Malcolm, dem „Teufel“, da er besonders Gott und Jesus zu verfluchen pflegt, mit den Lehren Elijah Muhammads Nation of Islam (kurz: Nation) vertraut, der mit einem Kontrarassismus den „weißen Mann“ für alle Missstände verantwortlich macht. Somit konvertiert der „Teufel“ Malcolm zum Islam.
Zur Umsetzung seiner neuen Lebensmission, die Wahrheit per Briefe zu verkünden, muss Malcolm zunächst seinen bescheidenen Wortschatz erweitern. Mit einem Arbeitspensum ohnegleichen verwandelt er seinen Gefängnisaufenthalt in ein jahrelanges Studium von Lexika, Geschichte, Philosophie und Religion um, in dem er „bis zum Ende [s}eines Gefängnisaufenthaltes fast eine Million Wörter[2] schreiben wird.“ Durch Gruppendebatten eignet er sich zusätzlich Kompetenzen im Bereich der Rhetorik an, sodass Malcolm X, dessen Reden und Diskussionstechniken zu den erfolgreichsten des 20. Jahrhunderts gehören[3], seine Alma Mater in diesem sechseinhalb jährigen Gefängnisaufenthalt absolviert.
Minister Malcolm X (1952-1964)
Entsprechend der Gepflogenheit der Mitglieder der Nation, legt Malcolm seinen Nachnamen ab und weist damit den Nachnamen des ehemaligen Sklavenhalters seines Vorfahren sowie auch den ihm von der Mehrheitsgesellschaft zugewiesenen Platz zurück.[4]
Als erfolgreicher Prediger, später als Pressesprecher, verwandelt Malcolm in kurzer Zeit die Nation von einer Splittergruppe zu einer mächtigen Organisation. Die Verfechtung eines provokativen und kompromisslosen Schwarzen Nationalismus ist für viele Schwarze eine Alternative zu den Integrationsbestrebungen des Civil Rights Movement, von der die Nation ironischerweise den größten Widerstand erfährt. Jedoch knistert es auch intern. Das Auffliegen der außerehelichen Affären Elijah Muhammads, dem Oberhaupt der Nation, führt zum Bruch der Beziehungen. Malcolm kommentiert Jahre später seine einstige Loyalität mit: „Ich habe mehr an ihn geglaubt als er an sich selber.“[5]
Nicht weniger überzeugt von seiner Sache, bedarf Malcolm einer Neuorientierung. Doch zunächst einmal wird er eine lang aufgeschobene Reise unternehmen.
Amerika muß unbedingt lernen, den Islam zu verstehen, weil er die einzige Religion ist, die in der Lage wäre, das Rassenproblem dieser Gesellschaft zu beseitigen.
El-Hajj Malik El-Shabazz (1964-1965)
Im April 1964 tritt Malcolm X seine Pilgerreise an, die ihn die rassistischen Tendenzen aus seiner Gedankenwelt zu beseitigen veranlassen. Es soll nur noch die Tat des Individuums zählen, nicht mehr seine Hautfarbe. Diesen wertvollen Fund teilt Malcolm auch mit der Öffentlichkeit – ein Ausschnitt aus seinem Brief an die US Amerikanische Presse:
„Dort waren Zehntausende von Pilgern aus der ganzen Welt. Unter ihnen waren alle Hautfarben vertreten, von blauäugigen Blonden bis zu schwarzhäutigen Afrikanern. Aber wir nahmen alle am selben Ritual teil und verbreiteten einen Geist der Einheit und der Brüderlichkeit, wie ich ihn nach meinen Erfahrungen in Amerika zwischen Weißen und Nichtweißen für unmöglich hielt. Amerika muß unbedingt lernen, den Islam zu verstehen, weil er die einzige Religion ist, die in der Lage wäre, das Rassenproblem dieser Gesellschaft zu beseitigen.“[6]
Nach seiner „Neugeburt“ und langwöchigen Reise durch ganz Afrika kehrt El-Hajj Malik el Shabazz zurück und versucht weiterhin den tief verwurzelten rassistischen Verhältnissen entgegenzusteuern. Doch weiß er, „daß häufig genau die Menschen getötet werden, die zur Veränderung einer Gesellschaft beitragen.“[7] – er wird Recht behalten.
Auch sollte er bezüglich Martin Luther Kings Schicksal, mit dem er unterm Strich dasselbe Ziel verfolgt habe, richtig liegen. Unklar sei nur „welcher Vertreter der beiden ‚Extreme’ wohl als erster ganz persönlich von einer tödlichen Katastrophe ereilt werden [würde] – der ‚gewaltlose’ Dr. King oder [er] – der angeblich ‚Gewalttätige’.“[8] Unklar ist auch, welche seiner Feinde das Attentat während einer seiner öffentlichen Reden in New York am 21.02.1965 auf Malcolm ausgeübt hat.
Somit endet das Leben eines Mannes, der einer unterdrückten Volksgruppe predigte, sich nicht für ihre Hautfarbe schämen zu müssen und ein Dasein erhobenen Hauptes zu führen. Trotz aller Ohnmachtserfahrungen der Schwarzen als Kollektiv, erflehte Malcolm kein Mitleid, noch zweifelte er für einen Moment an der Nützlichkeit seiner Bemühungen. Vielmehr kämpfte er vorbildhaft und unermüdlich für seine Sache, erwies aber auch die Einsicht ebenfalls seine eigenen Fehler zu korrigieren. Bedeutet es schließlich nicht, die Welt zu einem besseren Ort machen zu wollen, allen voran sich selbst zu bessern? Ist sie nicht am Ende des Tages nichts anderes als das Produkt „besserer“ Individuen?
Denn Gott verwandelt nicht,
was an Menschen ist,
bis sie Verwandeln,
was an ihnen ist.[9]
In diesem Sinne dient Malcolms Vermächtnis als Inspiration und Motivation für alldiejenigen, die im Kampf gegen sozialer und wirtschaftlicher Ausgrenzung von Minderheiten zu verzagen neigen; nicht nur in den USA, in denen noch heute tiefe Missstände vorherrschen[10], sondern auch in Deutschland, wo Aufstiegschancen und sozialer Erfolg nach wie vor stark von der Herkunft eines Individuums abhängen.[11]
Es ist eine traurige Ironie, dass dieser beflügelte wie beflügelnde Mann nicht nur zu Lebzeiten als gewaltbereiter Hassprediger verunglimpft wurde, sondern heute z. T. weiterhin so wahrgenommen wird, obwohl er persönlich nicht ein einziges Mal in einem gewalttätigen Konflikt verwickelt war. An Ironie nicht zu übertreffen ist diese Tatsache aber vor allem deswegen, weil Bruder Malcolms an die Menschheit gerichteten letzten Worte, bevor ihn 21 Kugeln durchlöcherten, folgende waren:
as-salāmu ʿalaikum – Friede sei auf euch![12]
[1] http://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/201549/1965-ermordung-von-malcolm-x [letzer Zugriff: 02.02.18]
[2] Alex, Haley (Hg.): Malcolm X – Die Autobiographie, Bremen 1993, S. 185
[3] https://news.wisc.edu/i-have-a-dream-leads-top-100-speeches-of-the-century/ (letzter Zugriff: 25.01.18)
[4] Vgl. Prof. Dr. Recep Şentürk, Malcolm X, Istanbul 201X, S.X
[5] Alex, Haley (Hg.), Malcolm X – Die Autobiographie, Bremen 1993, S. XX
[6] Ebd., S. 357.
[7] Ebd., S. XXX.
[8] Ebd., S. 395.
[9] Der Koran (In der Übertragung von Friedrich Rückert): Sure ar-raʿd, Vers 11.
[10] „Weiße Familien haben […] im Durchschnitt 109.000 Dollar auf ihren Rentenkonten angespart. Schwarze und hispanische Familien dagegen kommen auf lediglich 17.000 Dollar. […] Obwohl die Minderheiten nur ein Drittel der Gesamtbevölkerung ausmachen, gehören 60 Prozent der US-Gefängnisinsassen einer solchen Gruppe an.“ – s. http://www.zeit.de/politik/ausland/2013-07/rassismus-usa-ungleichheit (letzter Zugriff: 10.02.18)
[11] Vgl. http://www.taz.de/!5385634/ (letzter Zugriff: 10.02.18)
[12] Prof. Dr. Recep Şentürk, Malcolm X, Istanbul 201X, S.XXX